Die Idee, mir das Spiel anzusehen, kam mir als ich vorgestern auf der Strandpromenade deutsche Bierwampen sah, die mit Schalke 04-Hemden überspannt waren. Ich richtete an eine der Wampen die Frage, wann das Spiel denn stattfinde und siehe, sie sprach: „Dat Spiel is morgen. Dat Hinspiel war dreizueins, in der zweiundneunzigsten Minute hammwa noch einen rein bekommen. Ansonsten hätte es fünf oder sechsnull ausgehen müssen. So schlecht sind die.“
Nun, beschloss ich: da werde ich mal nachsehen, ob „die“ wirklich so schlecht sind und ob die anderen, die momentan vorletzte der Bundesliga sind, tatsächlich so leichtes Spiel haben werden, wie der weit gereiste Anhänger der Gelsenkirchener Fußballmannschaft annimmt.
Die Touristeninformation an derselben Strandpromenade ist ein erstaunlich kleines Bürolein, in das nicht viele Touristen passen, aber in dem zwei Damen arbeiten, die auf Zack sind. Die eine holt aufmerksam die Anfragen der Besucher ein und gibt sie an die andere weiter, die den Blick nicht vom Computermonitor nimmt, permanent ein Telefon am Ohr hängen hat, ihre Recherchen mit sichtbarer Routine und Treffsicherheit im Computer oder mit Hilfe von Listen und Verzeichnissen lanciert und die gewünschten Informationen mit allen Zusätzen und Eventualitäten auf Hebräisch an die erste Dame weitergibt, welche sie charmant auf Englisch ans Publikum veröffentlicht.
Die Damen belehren mich, dass das Vorverkaufsbüro für diese und andere Veranstaltungen wie Konzerte u.ä. „Lean“ heißt und in einer Passage in der Ditzengoffstraße 7 liegt. Man notiert mir die Telefonnummer auf einem Stadtplan, den man mir aushändigt, nicht ohne vorher den gegenwärtigen Standort und das Ziel eingezeichnet zu haben. Ich wundere mich nur, dass sie nicht um kurze telefonische Rückmeldung bitten, wenn man das Büro erreicht und die Karten erfolgreich gekauft hat und sicher hätten sie auch sofort für mich dort angerufen aber ich bat nicht darum und als ich danke, laufen schon neue Recherchen und neue Informationen werden aus dem kleinen Büro hocheffizient in die Welt lanciert, auf dass der Reisende sich wohl befinde, in Tel Aviv.
Bei „Lean“ angekommen, erfahre ich, dass die Karte auf der Haupttribüne stolze 440 Schekel (ca. 90 Euro) kosten soll. Nun, das ist der heutige Fußballwahnsinn und die ca. zwanzigtausend Euro, die allein ein Spieler wie der Schalker Stürmer Huntelaar pro Tag brutto an Gehalt kostet, wollen eingenommen sein (sein jetziges Gehalt bei Schalke kennt man nicht so genau aber bei Real Madrid waren es 4 Millionen netto jährlich und das sind für den Arbeitgeber rechnerisch ziemlich genau zwanzigtausend Euro brutto am Tag). Auf Nachfrage erfahre ich, dass es auch eine Karte für 220 Schekel auf der Gegentribüne gibt. Gegentribüne beim Volk statt Haupttribüne bei der Noblesse? – die Entscheidung fällt nicht schwer, wenn man wie ich vor allem die Atmosphäre spüren will.
Mit der Karte in der Tasche fahre ich am nächsten Tag im Taxi zum Bloomfield Stadion im Stadtteil Jaffa. Die Anreise macht keine Probleme und auch der richtige Stadioneingang ist leicht gefunden. Fast eineinhalb Stunden vor Spielbeginn nehme ich meinen Platz schon ein, denn so kann ich in Ruhe beobachten, wie sich das Stadion langsam füllt und sich die Atmosphäre aufbaut.
Die Schalker sind auch schon da, ein kompakter blauer Block in einer Ecke hinter dem Tor. Ein bisschen befremden sie schon, diese großen deutschen Schriftzüge auf den Spruchbändern, teilweise in Frakturschrift gehalten, die da lauten „Rheinland“, oder „Hagen“. Auch die Gesänge sind anders als die der Gastgeber. Die Deutschen sind als lautes Volk bekannt. Man erkennt sie an ihrem lauten Sprechen und an ihrem explosionsartigen Lachen. Nicht, dass dies als besonders störend empfunden wird, von Italienern, Briten, Schweizern oder Israelis, aber es unterscheidet sie von anderen Völkern, die sich ihrerseits wiederum durch andere Eigenschaften abheben. Wenn jedoch schon das Sprechen und Lachen der Deutschen als laut wahrgenommen wird, wie kommen dann diese Chöre an, mit denen nicht mehr als schätzungsweise zwei- oder dreihundert Schalker teilweise das Stadion anfüllen? Zudem verwenden sie gelegentlich eine besondere Technik, die ich bisher so noch nicht beobachtet habe, und das sieht so aus: die ganze Fangruppe verhält sich zunächst ruhig, weitgehend sitzend oder jedenfalls zurück genommen, um dann in einem Moment, plötzlich und sehr laut mit einem explosiven „SCHALKE“-Gebrüll gleichsam nach vorn zu springen. Die ganze Gruppe bewegt sich auf diese Art ruckartig nach vorn, als wolle sie attackieren, als wolle sie weiter, wohin auch immer… Mir scheint, dass die Umstehenden dies als vorlaut wahrnehmen und das Stadion pfeift – allerdings eine übliche Reaktion unter Fußballfans weltweit im Wechselspiel der Fangesänge. Ich habe im Allgemeinen nicht den Eindruck, dass man die Schalker besonders bewertet, weil sie Deutsche sind aber ganz sicher bin ich nicht. Vielleicht sind es auch die Hapoel Tel Aviv-Anhänger um mich herum nicht. Ich fühle mich selbst in keiner Weise unwohl als Alien in der israelischen Fankurve. Ich bin zwar entschieden der einzige, der nichts Rotes am Leib trägt, aber es gibt es keine schrägen Blicke oder gar Äußerungen irgend einer Art.
Dann kommen die Spieler zum Aufwärmen und sofort ist ein Name in aller Munde: Raul. Er ist der Star, den sie hier sehen wollen und den sie offenbar sehr schätzen. Ich höre die Umstehenden spekulieren, ob er wohl spielen wird. Man weiß hier den Stellenwert von Hapoel Tel Aviv auf internationaler Ebene realistisch einzuschätzen: es ist durchaus möglich, dass Schalkes Trainer Felix Magath seine Stars für andere, wichtigere Einsätze schont.
Dann geht´s los und das Stadion explodiert in rot als die Spieler auf den Rasen kommen und die Champions-League Hymne ertönt, die zwar kitschig und von jeder Fernsehübertragung her alt bekannt ist, mir aber dennoch einen Schauer der Rührung verpasst: immerhin ein Champions League-Spiel und dann in Tel Aviv.
Die Hapoel-Fankurve entrollt ein riesiges Banner mit dem Vereinsschriftzug und Hammer und Sichel über die ganze Tribüne hinweg (Ha-Poel = der Arbeiter), dann pfeift der Schiedsrichter das Spiel an. Ab jetzt wird es laut, sehr laut um mich herum. Man verfolgt das Spiel durchweg im Stehen, obwohl dies eigentlich Sitzplätze wären. Die Begeisterung ist enorm, die Gesänge laut, die Unterstützung für die geliebten Helden auf dem Rasen grenzenlos. Von den Schalkern ist jetzt nichts mehr zu hören und tatsächlich scheint sich die Begeisterung auf die Männer in rot dort unten zu übertragen: Hapoel macht es den weit favorisierten Schalkern nicht einfach.
Zur Pause Null zu Null und auch in der zweiten Halbzeit fallen keine Tore mehr, in der Hapoel immer besser wird und mehrfach dem entscheidenden Torerfolg nahe kommt. Auch der Taxifahrer auf der Rückfahrt, der das Spiel im Fernsehen gesehen hat, bestätigt meinen Eindruck, dass die Schalker es allein ihrem Torwart Manuel Neuer zu verdanken haben, dass sie hier nicht als Verlierer den Platz verlassen. Beim Abgang erhält Raul noch einmal Sonderapplaus, als einziger Spieler der Gegner. Er dankt seinerseits mit einer Applausgeste in Richtung Hapoel-Kurve, als er langsam den Platz verlässt. Die großen Stars beenden ja heutzutage ihre Karrieren, indem sie kurz vor der Ausmusterung noch ein oder zwei Jährchen in Dubai oder bei Los Angeles Galaxy kicken. Wenn es bald so weit ist, denn er ist ja nicht mehr der jüngste, wäre Raul hier zu Gast bei Freunden.
Wer sich in Tel Aviv aufhält und einen tollen Fußballabend genießen will, dem sei wärmstens empfohlen, zum Bloomfield Stadium zu kommen. Nähere Informationen zu Eintrittskarten aber auch zu allen anderen denkbaren Plänen und Aktivitäten halten sicher die beiden gewieften Damen von der Touristeninformation am Strand bereit.