Die Sache spielt sich abends ab. Es gibt nicht zuerst eine Zeremonie, in der Kirche oder auf dem Standesamt und anschließend eine Feierlichkeit – der Rabbi kommt direkt bei der Party vorbei und erledigt alles vor Ort: kundenfreundliche Dienstleistung.
Was er sagt, verstehe ich nicht. Mein derzeitiges Hebräisch erlaubt mir das Verständnis von ungefähr jedem dritten bis fünften Wort – zu wenig für eine Inhaltsangabe. Die Hochzeitsgäste sind jedenfalls gerührt und berührt von den Worten des Gottesmannes, der außerdem mehrfach Heiterkeit auslöst.
Der offizielle Teil mit dem Heranschreiten von Gatte und Braut, jeweils von den Eltern begleitet, mit der Aufstellung unter einer Art Baldachin, mit den Gesängen und Rezitationen des Rabbiners bis zum schlussendlichen Zertreten des Glases geht relativ rasch vonstatten. Dann Gratulationsdefilee und schließlich alle zurück an die Tische zum Essen fassen.
Wer italienische Hochzeiten gewöhnt ist, der erwartet jetzt ein mehrstündiges Gelage mit achthundert Gängen und stundenlanger Schwerstarbeit. Aber nichts dergleichen geschieht: man bedient sich am Buffet und speist in Ruhe etwa eine halbe Stunde lang. Dann ergreift eines der Kinder das Mikrofon und eröffnet – jetzt verstehe ich die hebräische Ansage! – den hauptsächlichen Teil des Abends und der Feier: let’s dance!
Ab jetzt beginnt ein Non Stop-Tanzen bis in die Morgenstunden und alle machen mit: Kinder, Alte, Brautpaar, Familie, Freunde. Ab jetzt findet die Feier auf der Tanzfläche statt. Dort wird getrunken, geredet, gelacht, fotografiert, gefilmt und eben: getanzt. Kurze Pausen für Toilettengänge oder ein Glas Wasser werden toleriert doch wer dann wieder dabei sein will, der sollte zurückkehren ins Getümmel.
Die Musik, in unserem Fall von professionellen DJs aufgelegt, deckt ein sehr weites Spektrum ab: es beginnt mit Madonna und einigen aktuellen Dance-Krachern, schwenkt bald ins leicht Traditionelle, Klezmer und arabische Rhythmen wechseln sich ab, kehrt dann wieder zum gegenwärtig funktionierenden Hip-Hop-Dance-Gewummer zurück, berührt einige Klassiker der achtziger Jahre, aber nur kurz, denn dafür war es noch zu früh. Also doch lieber Latin und solider Techno, der jedem in die Beine geht und die Tanzflächenpopolation hoch hält. Alles eine Frage der Lautstärke: Gespräche gehen kaum also, was soll man machen? Man tanzt halt, in der Hoffnung auf bessere oder zumindest für unser Ohr gängigere Musik. Die kommt nach Mitternacht, nachdem die ersten weniger discoresistenten Gäste das Feld geräumt haben. Jetzt funktionieren auch die Klassiker der neunziger, achtiziger und siebziger Jahre bis hin zu „Fade to gray“ von „Visage“ oder den frühen The Cure. Der DJ gibt alles und wir geben alles: ein produktives Land, auch auf der Tanzfläche.
Die Menschen bleiben in Kommunikation beim Tanzen, man schaut einander an, lächelt, scherzt, schubst, nötigt zum Schnapstrinken, lacht über die Faxen der anderen oder über den Vater, der mit seinem Sohn auf der Schulter abrockt. Man isoliert sich nicht, man tanzt zusammen, mit der Kippa auf dem Kopf oder der Krawatte am Hals oder im inzwischen offenen Hemd; viele Frauen entledigen sich der lästigen hohen Schuhe, tanzen barfuß, Eleganz ist jetzt nicht mehr wichtig, es geht ums Tanzen. Man bildet ein Team, eine eingeschworene Mannschaft mit dem DJ an der Spitze und mit Kurs auf die frühen Morgenstunden.
Als die erreicht sind und die Massenekstase langsam verebbt, muss ich unserem Gastgeber, dem Bräutigam, bei einem letzten Whiskey ein Kompliment für seine Kondition aussprechen: er hat 5 Stunden durchgetanzt und durchgetrunken, ohne Ermüdungserscheinungen und ohne Pillen. Überhaupt spielen Drogen und Alkohol an diesem Abend keine Rolle. Alkohol wird getrunken aber niemand war betrunken, nicht einmal andeutungsweise, niemand wurde unangenehm.
Israel ist ein dynamisches Land. Wenn ich morgens den Tag mit einer Meditation am Strand beginne, ist um mich herum nur Bewegung: Jogger, Hunde, eilige Spaziergänger, Fahrräder, Müllmänner, Polizeihubschrauber. Ich fühle mich ein bißchen wie eine Insel in tosenden Wellen, zumal die Wellen hier tatsächlich gern tosen. Auf der Hochzeit nahm diese Tendenz zur Bewegung etwas Ekstatisches an, was jedoch heiter und lebensfroh wirkte. Ich hoffe nur, die Ehe der beiden wird ruhiger, obwohl zumindest der Bräutigam einiges auszuhalten scheint. Langsam wird mir klar, warum man hier alle Kriege gegen zahlenmäßig übermächtige Gegner gewinnen konnte: let’s dance.