Heute Morgen brauchten wir vor der Abfahrt von Haifa zum Kibbutz En Gev am See Genezareth erst mal einen funktionierenden Geldautomaten und eine Apotheke. In Tel Aviv und Herzliya hatte ich mit Geldautomaten keine Probleme aber hier in Haifa sollte man sich nicht blind auf sie verlassen: sie nehmen meist nur vierstellige PIN-Nummern an, unsere Maestro-Karten aber verlangen 6 Stellen. Erst nach mehreren Versuchen gelang es, die gewünschte Summe aus der Wand zu ziehen. Ansonsten hätten wir unsere Kreditkarten zum Abheben benutzen müssen, was – wenn ich nicht irre – hohe Gebühren kostet. Die Apotheke fanden wir nach zweimaligem Nachfragen auf Hebräisch, ohne englische Erläuterungen, was meine Stimmung erneut deutlich hob.
Geplant war ein Zwischenstopp in Zefat in Obergaliläa. Die Fahrt führte also durch jenes Land, das Mark Twain in seinem Reisebericht aus der Zeit vor der jüdischen Einwanderung als fast völlig unbevölkert und brach liegend beschrieben hat (siehe Artikel von gestern). Von der Straße aus scheint es heute ziemlich einfach zu sein, mehrheitlich arabische von mehrheitlich jüdischen Siedlungen zu unterscheiden: entweder staubig schmuddelige Betonslums mit einem Minarett in der Mitte oder schmucke Siedlungen mit Vorgärten und Spitzdächern, die auch in Lugano oder Wiesbaden stehen könnten.
Zefat ist historisch hochinteressant, denn der Ort hatte in der Geschichte immer eine jüdische Bevölkerungsgruppe. Auch nach der Zerstörung des zweiten Tempels und der Vertreibung durch die Römer blieben Juden hier. Für das 3.-5. Jahrhundert ist belegt, das Zefat einer der Orte war, die an hohen jüdischen Feiertagen die Feuersignale aus Jerusalem weitergaben. Im Mittelalter folgten wechselnde Herrscher in verschiedenen Kriegen. Aber die jüdische Komponente blieb. Als Spanien 1492 seine jüdischen Bürger vertrieb, kamen viele dieser sogenannten Sephardim nach Galiläa und siedelten sich in Zefat an. Um 1550 wohnten in Zefat bereits 12.700 Juden und in den umliegenden Dörfern nochmals rund 10.000. Die Stadt wurde zum Zentrum der jüdischen Mystik, der Kabbala und ist neben Jerusalem, Hebron und Tiberias die vierte der heiligen Städte des Talmud.
Dies ist deshalb interessant, weil die Ansicht verbreitet ist, das Heilige Land sei fast 2000 Jahre „judenrein“ gewesen und hätte erst mit der zionistischen Einwanderung und vor allem mit der Gründung Israels wieder eine jüdische Bevölkerungsgruppe bekommen, welche die „Palästinenser“ verdrängte. Auch der Begriff Palästinenser ist ein politisches Konstrukt, wie so vieles hier: vor der jüdischen Besiedlung bezeichnete man diesen Landstrich als einen Teil Syriens und seine Bewohner einfach als Araber. Die Ansicht, in „Palästina“ hätte es vor dem Zionismus keine Juden gegeben, ist schlicht nicht wahr. Zunächst einmal war das Land hier im Norden bis auf einige Hafenorte wie z.B. Akko aüßerst dünn besiedelt und lag brach, wie wir gestern in Haifa gelernt haben. Zudem aber gab es hier immer Juden, sie blieben in Jerusalem präsent, sie blieben in Zefat präsent. Das heutige Israel war nie ganz frei von jüdischer Besiedlung. Es gab in der Geschichte die verschiedensten Entwicklungen und die jüdische Präsenz verringerte sich an einzelnen Orten zeitweise bis zur Randerscheinung. Aber sie verschwand nie.
Wir erlebten Zefat heute in den letzten Stunden des Freitagnachmittags, vor Beginn des Shabbat. Es lag eine Stimmung der Vorfreude über der Stadt, rasche Einkäufe vor der Schließung aller Geschäfte wurden erledigt. Musik drang aus den Lokalen und Wohnungen, die mehrheitlich orthodoxen Einwohner eilten nach Hause, die vielen Kinder im Kinderwagen oder an der Hand. Wir hörten viel amerikanisches Englisch und es waren keine Touristen, die so sprachen.
Als wir zu unserem Parkplatz zurück kamen,war unser Auto das letzte. Der Müllwagen fuhr durch die inzwischen geleerten Straßen, die Dämmerung begann, alle Geschäfte waren bereits geschlossen. Es wurde Zeit für uns, abzureisen. Ich schätze den hohen Stellenwert, den das Judentum der Ruhe und Stille am Shabbat beimisst. Stille ist die Sprache Gottes, alles andere ist eine schlechte Übersetzung – so habe ich einmal Eckhart Tolle sagen hören. Wenn dem so ist, so wird man hier die Sprache Gottes wohl besonders gut verstehen, in der heiligen Stadt am Shabbat, wenn alles zur Ruhe kommt.
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